Wussten Sie schon, dass das Lesen wohltuender Worte nachweislich einen positiven Einfluss auf die seelische Gesundheit hat? Es gibt Momente im Leben, in denen uns jedes Wort zu viel erscheint. Dann gibt es aber auch Augenblicke, wo unsere Seele ihre Hand nach einem helfenden Wort ausstreckt, das sich wie eine Feder auf sie legt. Alles hat seine Zeit - auch das Wort.
Vielleicht sind Sie zufällig hier in dieser Gedankeninsel gelandet, vielleicht sind Sie aber auch ganz bewusst auf die Suche danach gegangen. Ich möchte Ihnen in diesem kleinen Mikrouniversum Gedanken schenken, die mich bewegt oder mir geholfen haben, und die vielleicht auch Ihnen Trost nach einem Verlust geben. Positive Gedanken, die Ihre Seele erreichen mögen.
2024-08-19
Vor ein paar Jahren nahm ich an einer Wanderung um den Grünen Ring in Hamburg teil. 100 Kilometer. Ich war nie sonderlich sportlich, aber eine meiner besten Freundinnen hatte mich mit ihrer Begeisterung fürs Wandern angesteckt. Eines Tages erwähnte sie beiläufig, dass es in Hamburg eine Wanderung gäbe, bei der man 100 Kilometer in 24 Stunden zurücklegt. „Da machen wir mit“, entgegnete ich ahnungslos, was mich überhaupt erwarten würde. Wenig später hielt ich ein Geschenk meiner Freundin in den Händen: Das Ticket für den Marsch.
In 24 Stunden hatte ich jede Menge Zeit zum Nachdenken. Rückblickend betrachtet war dieses meditative Gehen eine der prägendsten Erfahrungen meines Lebens. Mich erinnert diese Wanderung auch an meine eigenen Verlusterfahrungen und die Trauer, die mich in meinem Leben begleitete.
Warum? Weil ich mir der Bedeutung der einzelnen Schritte bewusst wurde.
Verlust und Trauer können sprunghaft in unser Leben treten, manchmal aber auch in kleinen Schritten, Letzteres beispielsweise, wenn ein Mensch durch eine Krankheit aus seinem – und unserem – Leben geleitet wird. So unterschiedlich diese Erfahrung auch in unser Leben gelangen kann, die Zeit danach hat in den allermeisten Fällen eine große Gemeinsamkeit: sie ist von vielen einzelnen Schritten geprägt. Da kann auch ein kleiner Schritt als große Herausforderung empfunden werden. Für den einen ist es schon eine große Überwindung, morgens das Bett zu verlassen, für den nächsten ist es ein großer Schritt, die Kleidung eines verstorbenen Menschen aus dem Kleiderschrank zu sortieren, wieder jemand anderes empfindet es als großen Schritt, das letzte selbst eingemachte Marmeladenglas zu öffnen, das eine verstorbene Person noch liebevoll beschriftet hat. Wie groß oder klein ein Schritt ist, ist eine höchst subjektive Empfindung. An einigen Tagen gehen wir vielleicht mehrere Schritte, an anderen wiederum nur einen einzigen, manchmal mag uns der Weg steil erscheinen und der Rucksack auf unserem Rücken schwer, morgen machen wir vielleicht eine Pause und an manchen Tagen sogar einen Schritt zurück. Das ist okay – solange wir an anderen Tagen dafür zwei, drei oder auch vier Schritte nach vorn machen. Das ist die Kunst der einzelnen Schritte. Wir selbst bestimmen die Geschwindigkeit, mit der wir über den Weg unserer Trauer gehen.
Als ich nach 100 Kilometern das Ziel meiner Wanderung erreichte, erhielt ich eine Medaille. Ich war und bin sehr stolz darauf, noch viel stolzer aber war ich auf die einzelnen Schritte auf dem Weg dorthin. Mich hat nicht die Aussicht auf eine Medaille ins Ziel gebracht, sondern jeder einzelne Schritt. Die Medaille konnte ich allen zeigen, den Stolz aber und die Überwindung, die mich viele der kleinen Schritte gekostet haben, konnten nur diejenigen zumindest in Teilen nachempfinden, die den Weg auch gegangen sind. Aber niemand in Gänze, denn selbst wenn Hundert Menschen den gleichen Weg gehen, ist die Erfahrung hundertmal eine andere. So wie in den Phasen der Trauer.
Wir bekommen vom Leben keine Medaille, wenn wir an dem Punkt angekommen sind, an dem wir sagen können: Ich habe gelernt mit dem Verlust zu leben. Die brauchen wir auch gar nicht. Ich finde es viel wichtiger, nach Verlusten einen Weg in unserem eigenen Tempo zu gehen, ab und zu stehen zu bleiben, um mit Stolz und Selbstachtung auf die vielen einzelnen Schritte zurückzublicken, und anschließend weiter zu gehen auf unserem ganz eigenen Lebensweg – ganz gleich, ob mit großen oder kleinen Schritten.
Susanne - 10:38:17 @ Allgemein | Kommentar hinzufügen
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